Die europäische Nachhaltigkeitsregulierung befindet sich erneut in einer Phase tiefgreifender Neujustierung. Mit dem erklärten Ziel, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen zu senken, Regelwerke zu vereinfachen und die Kohärenz des europäischen Rechtsrahmens zu stärken, hat die EU-Kommission am 26. Februar 2025 das erste Omnibus-Paket vorgelegt. Dieses zentrale Reformvorhaben bündelt Entlastungen und Anpassungen für drei Kernbereiche des EU-Nachhaltigkeitsrechts: die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die EU-Taxonomie sowie die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD).
Die Trilogverhandlungen zum Omnibus-I-Paket sind inzwischen weit fortgeschritten. Kommission, Parlament und Rat haben sich auf konkrete Vereinfachungen zur CSRD und CSDDD verständigt und auch die EUDR (EU-Entwaldungsverordnung) wurde kurz vor ihrem Anwendungsstart noch überarbeitet. Damit die Einigungen rechtskräftig werden, steht nun noch die formale Annahme durch Parlament und Kommission an. Die entsprechenden Abstimmungen sind für den 11. und 16. Dezember vorgesehen. Für Unternehmen bedeutet dieses Ergebnis eine klare Weichenstellung für die zukünftige Ausrichtung ihrer ESG-Berichterstattung.
Parallel dazu arbeitet die EU an der Reform weiterer regulatorischer Eckpfeiler – darunter SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) und sektorspezifische Flankierungsmaßnahmen – wodurch der gesamte europäische Nachhaltigkeitsrahmen neu kalibriert wird. Erste Vorschläge und Formulierungen hierzu wurden bereits veröffentlicht und verdeutlichen die Richtung der künftigen Anpassungen.
Gerade für mittelständische Unternehmen bedeutet diese Reformdynamik: Die regulatorischen Grundpfeiler bleiben in Bewegung, doch die Richtung ist klar – eine Entbürokratisierung. Für Unternehmen entsteht damit ein Umfeld, in dem formale Berichtspflichten zwar abnehmen, die Erwartungen von Finanzmarkt, Kunden und Lieferketten jedoch unverändert hoch bleiben – und teilweise durch diese die indirekte Betroffenheit sogar steigen.
1. Der aktuelle Stand von Omnibus I: Einigung in den Trilogverhandlungen zur CSRD und CSDDD
Das Omnibus‑I‑Paket markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der europäischen Nachhaltigkeitsregulierung. In den Trilogverhandlungen wurden zentrale Anpassungen der CSRD und CSDDD beschlossen, die Vereinfachungen, Übergangsregelungen und Entlastungen für Unternehmen konkretisieren und den Anwenderkreis drastisch reduzieren sollen. Mit der bereits beschlossenen Stop-the-Clock-Richtlinie wurden die Berichtsfristen nach hinten verschoben und die Quick-Fix-Verordnung bringt temporäre Vereinfachung für die aktuellen Anwender mit sich. Ergänzend wurde bereits Vorschläge zur Überarbeitung und Vereinfachung der EU‑Taxonomie und der ESRS vorgelegt: Der Delegierte Rechtsakt der Europäischen Kommission zur EU-Taxonomie befindet sich in der finalen Prüfungsphase und die überarbeiteten ESRS der EFRAG werden von der Europäischen Kommission geprüft.
Höhere Schwellenwerte für die Berichtspflicht (CSRD)
Der Anwenderkreis wird drastisch reduziert und die Berichtspflicht künftig auf Unternehmen mit
- mehr als 1.000 Mitarbeitenden und über 450 Mio. € Umsatz beschränkt. In Kombination mit der Stop-the-Clock-Richtlinie verschiebt sich damit die Erstanwendung auf 2027 für große Unternehmen.
- Kapitalmarktorientierte SMEs werden von der Berichtspflicht ausgenommen.
Durch die Maßnahme werden kleine und mittelständische Unternehmen entlastet und sollen in Bezug auf Abfragen zu ESG-Angaben ihrer Stakeholder auf den reduzierten Umfang der freiwilligen Standards begrenzt sein.
Fokussierung und Entschärfung der Sorgfaltspflichten (CSDDD)
Die Sorgfaltspflichten im Rahmen der CSDDD werden reduziert und die Schwellenwerte für den Anwendungskreis ebenfalls angehoben:
- Reduzierter Anwenderkreis: Die Sorgfaltspflichten werden nur für Unternehmen ab 000 Mitarbeitenden und 1,5 Mrd. € Umsatz gelten.
- Vereinfachung: Die Pflicht zur Aufstellung von Klimatransitionsplänen wurde gestrichen.
- Fokus auf risikobehaftete Geschäftspartner: Die Unternehmen sollen sich auf die Bereiche in ihrer Lieferkette konzentrieren, in denen tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen am wahrscheinlichsten auftreten. Statt einer Beschränkung auf direkte Geschäftspartner, verschiebt sich der Fokus auf eine Eingrenzung innerhalb der Lieferkette.
- Verschiebung des Anwendungszeitraums: Auch hier wirkt die Stop-the-Clock-Richtlinie und verschiebt die Anwendung für Unternehmen auf Juli 2029.
Der risikobasierte Ansatz, den Fokus auf die gefährdeten Bereiche der Lieferkette zu legen, könnte nicht betroffene Unternehmen innerhalb der Lieferkette von einer indirekten Pflicht entlasten. Die EU betont, dass verhindert werden soll, dass unnötige Informationen abgefragt werden.
ESRS 2.0: Überarbeitung des Berichtsrahmens
Der Auftrag an die EFRAG, überarbeitete ESRS (European Sustainability Reporting Standards) 2.0 vorzulegen, wurde am 3.Dezember mit der Übergabe an die Kommission abgeschlossen. Durch die Überarbeitung wird die Grundlage für einen in Inhalt, Aufbau und Detaillierungsgrad klarer strukturierten Standard geschaffen. Insgesamt wurden die zu berichtenden Datenpunkte um 61 Prozent reduziert und sämtliche freiwillige Angaben gestrichen mit dem Ziel, einen konsistenten, klar verständlichen und praxistauglichen Berichtsrahmen zu etablieren. Das finale ESRS 2.0-Set wird voraussichtlich bis Mitte 2026 verabschiedet und soll ab dem Geschäftsjahr 2027 – gegebenenfalls auch zu einem früheren Zeitpunkt – zur Anwendung kommen.
Das von der EFRAG überarbeitete ESRS Set finden Sie hier: Draft Simplified ESRS | EFRAG
Bereits umgesetzt wurden unter anderem:
Stop-the-Clock-Richtlinie ((EU) 2025/794) (April 2025)
Die Anwendung der CSRD für bilanzrechtlich große Unternehmen sowie für börsennotierte KMU wurde um zwei Jahre aufgeschoben. Diese Verschiebung stellt einen zentralen Baustein der Entlastungsstrategie dar.
Delegierter Rechtsakt zur EU-Taxonomie (Juli 2025)
- Einführung einer finanziellen Wesentlichkeitsschwelle:
Für Wirtschaftsaktivitäten, die finanziell unwesentlich sind und weniger als 10% des Umsatzes, der Investitionsausgaben (CapEx) oder Betriebsausgaben (OpEx) ausmachen, besteht keine Berichtspflicht mehr. Zudem muss die OpEx‑KPI nicht berichtet werden, wenn die KPI finanziell unwesentlich und geringer ist als 25 Prozent des Umsatzes.
- Verschiebung der Kennzahlenberichterstattung für Finanzunternehmen (u. a. Green Asset Ratio),
- Fokus auf risikobehaftete Geschäftspartner: Die Unternehmen sollen sich auf die Bereiche in ihrer Lieferkette konzentrieren, in denen tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen am wahrscheinlichsten auftreten. Statt einer Beschränkung auf direkte Geschäftspartner, verschiebt sich der Fokus auf eine Eingrenzung innerhalb der Lieferkette.
Damit reagiert die EU auf den hohen operativen Aufwand und schafft mehr Klarheit über Prioritäten innerhalb der Taxonomie-Berichterstattung.
Quick-Fix-Verordnung ((EU) 2025/1416)
Seit November 2025 in Kraft und ohne nationale Umsetzung direkt anwendbar für Geschäftsjahre ab 1. Januar 2025. Diese Verordnung bringt gezielte Erleichterungen für Unternehmen, die bereits nach CSRD berichten müssen und schafft mehr Proportionalität in der Anwendung.
Diese Schritte verdeutlichen: Der europäische Gesetzgeber verfolgt derzeit vor allem das Ziel, Komplexität und Belastungen für Unternehmen spürbar zu reduzieren.
2. CSRD-Umsetzung ins HGB: Nationale Gesetzgebung im Spannungsfeld europäischer Reformen
Die zahlreichen Reforminitiativen auf EU-Ebene wirken unmittelbar in den deutschen Gesetzgebungsprozess hinein. Der Regierungsentwurf vom 3. September 2025 basiert weiterhin auf der ursprünglichen CSRD-Fassung, also vor den Omnibus-Anpassungen. Dadurch entsteht ein doppelter Anpassungsbedarf:
- zeitnahe Integration der CSRD in das HGB und
- nachgelagerte Umsetzung der im Trilog finalisierten Omnibus-Ergebnisse.
Besondere Bedeutung kommt der künftigen Prüfungspflicht zu:
Der Entwurf sieht eine verpflichtende externe Prüfung (zunächst mit begrenzter Sicherheit) vor, lässt jedoch offen, welche Prüfungsanbieter zugelassen werden. Diese Frage wird erst im finalen Umsetzungsgesetz geklärt – ein Aspekt mit hoher Relevanz für Unternehmen, die ihre ESG-Governance strukturell vorbereiten müssen.
3. Das neue Value-Chain-Gap: Warum der VSME zum Schlüssel für KMU wird
Auch wenn Omnibus-I den Kreis der direkt berichtspflichtigen Unternehmen deutlich reduziert, bleibt der Bedarf an zuverlässigen ESG-Informationen im Markt unverändert hoch. Denn die EU-Nachhaltigkeitsziele lassen sich mit einem kleineren Anwenderkreis allein nicht erreichen. Damit rückt der sogenannte Trickle-Down-Effekt stärker in den Fokus: ESG-Anforderungen treffen Unternehmen nicht mehr nur über gesetzliche Pflichten, sondern zunehmend indirekt – über Banken, Kunden und Lieferketten, die weiterhin belastbare Nachhaltigkeitsdaten benötigen und aktiv einfordern.
Genau an dieser Stelle entsteht ein Value-Chain-Gap, das der neue VSME (Voluntary Sustainability Reporting Standard for SMEs) schließen soll. Er bietet kleinen und mittleren Unternehmen ein einheitliches, pragmatisches Rahmenwerk, um die ESG-Informationen bereitzustellen, die entlang der Wertschöpfungskette, im Vertrieb und im Finanzierungsumfeld zunehmend vorausgesetzt werden. Der VSME begrenzt zugleich ein ungefiltertes Weiterreichen von Pflichten („Pflichtdurchreichung“) und schafft Klarheit darüber, welche Daten in welchem Umfang realistisch verlangt werden können.
Besonders dynamisch entwickelt sich parallel die regulatorische Perspektive der Finanzmarktaufsicht. Die European Banking Authority (EBA) stellt mit ihrer eigenen Initiative, die im Omnibus-Kontext diskutierten Schwellenwerte in Frage. Ab Januar 2026 müssen Banken ESG-Faktoren verbindlich und systematisch in Kreditvergabe, Risikomanagement und Reporting integrieren – unabhängig davon, ob ein Unternehmen direkt der CSRD unterliegt oder nicht. Für Unternehmen wird damit deutlich: Belastbare ESG-Informationen werden zu einem zentralen Bestandteil des Kreditrisikoscorings und damit zu einem maßgeblichen Faktor für Finanzierungskonditionen, Kreditverfügbarkeit und Risikoeinstufung.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die formale Reduktion der Berichtspflichten durch Omnibus I keineswegs zu geringeren Anforderungen in der Unternehmenspraxis führt. Vielmehr bewegt sich der Markt in die entgegengesetzte Richtung: Auch Unternehmen, die künftig nicht mehr direkt berichtspflichtig sind, geraten durch Banken, Großkunden und Lieferketten zunehmend in den Fokus und müssen sich frühzeitig auf zunehmende und vor allem standardisierte ESG-Datenerwartungen vorbereiten. Diese Informationen werden künftig verbindlich eingefordert und unmittelbar in Risiko-, Preis- und Geschäftsentscheidungen einfließen – mit spürbaren Auswirkungen auf Finanzierung, Marktposition und Lieferkettenresilienz.
4. Weitere regulatorische Entwicklungen im Überblick
Neben den großen Reformprojekten rund um CSRD, CSDDD und die ESG-Datenanforderungen für KMU stehen auch andere zentralen Elemente des europäischen Sustainable-Finance-Rahmens vor wichtigen Änderungen. Sowohl die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) als auch die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) werden derzeit überarbeitet, um die Anforderungen zu präzisieren, Belastungen zu reduzieren und die Wirksamkeit der Regulierung zu erhöhen.
Reform der SFDR: Klarere Kategorien, weniger Komplexität
Mit dem Reformvorschlag vom 20. November legt die EU-Kommission die Grundlage für eine vollständig überarbeitete SFDR. Kernpunkte sind:
- Einführung eines neuen Kategorisierungssystems („Transition“, „Sustainable“, „ESG-Basics“),
- Fokussierung des Anwenderkreises auf Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte,
- Herausnahme der Investmentberatung und Portfolioverwaltung aus weiten Teilen des Anwendungsbereichs,
- deutliche Verschlankung der Offenlegungspflichten durch
- Wegfall der PAI-Pflichten auf Unternehmensebene
- Konzentration produktbezogener Disclosures auf wenige, aussagekräftige Kernindikatoren.
Damit soll die SFDR verständlicher, vergleichbarer und praxisnäher werden.
Details finden Sie hier: Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 20. November 2025
EUDR: Verschobene Fristen und Erleichterungen für kleinere Akteure
Auch die EU-Entwaldungsverordnung wird überarbeitet, um eine praktikablere Umsetzung zu gewährleisten. In den Trilogverhandlungen wurde am 4. Dezember 2025 eine Einigung erzielt, die eine Verschiebung der Anwendungsfrist und umfangreiche Erleichterungen vorsieht:
- Anwendungstermine verschoben auf
- Dezember 2026 (große Unternehmen)
- Juni 2027 (Kleinst- und Kleinunternehmen),
- Deutliche Entlastungen für nachgelagerte Akteure, indem die Sorgfaltspflichten und die Sorgfaltserklärung nur noch von Unternehmen verlangt werden, die ein Produkt erstmalig auf den EU-Markt bringen.
- Vereinfachte Einmalmeldungen für sehr kleine Unternehmen
- Weitreichende Erleichterungen für Primärerzeuger aus Ländern ohne Entwaldungsprobleme
- Bücher, Zeitungen und Druckerzeugnissen werden komplett aus dem Geltungsbereich der EUDR gestrichen.
Die Einigung sieht zudem vor, dass die EU-Kommission weitere Entlastungspotenziale bis April 2026 prüft. Der Spielraum für weitere Anpassungen ist somit gegeben, wodurch die konkreten Pflichten für Unternehmen weiterhin offenbleiben.
Ausführliche Informationen finden Sie hier: Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 4. Dezember 2025
5. Fazit und Ausblick
Zusammenfassend zeigt sich, dass die Vielzahl der vorgesehenen Änderungen im europäischen Nachhaltigkeitsrecht vor allem auf Entlastung und Entbürokratisierung für Unternehmen abzielt. Gleichwohl werden die laufenden Verhandlungen und Diskussionen noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bevor endgültige Klarheit geschaffen ist. Ein wichtiger Meilenstein zeichnet sich mit der Einigung im Omnibus Trilog und dem Beschluss zur EUDR ab: Viele Unternehmen erhalten damit erstmals einen verbindlichen Rahmen für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung und können ihre Vorgehensweise unter Berücksichtigung der steigenden Stakeholdererwartungen klar festlegen. Wir unterstützen Sie dabei praxisnah und anforderungsorientiert, damit Sie frühzeitig auf die wachsenden Nachhaltigkeitsanforderungen vorbereitet sind.
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Mit mehr als 100 Jahren Beratungserfahrung und einer führenden Expertise im ESG-, Sustainability- und Finanzreporting setzen wir Branchenstandards für eine moderne, belastbare und zugleich pragmatische ESG-Umsetzung. Unser interdisziplinäres Team verbindet Fachwissen, Technologiekompetenz und regulatorische Tiefe zu einem Beratungsansatz, der alle relevanten ESG-Dimensionen zusammenführt.
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